Henhenet (!nhnt)

last update: 05.09.2008


Die Mumie der Henhenet wurde während der Grabungen von Naville im Totentempel Mentuhotep Nebhepetres in ihrem Grab Naville Nr. 11 gefunden. Sie kam 1909 nach New York. 1923 wurde sie nach Kairo gebracht, wo sie sich noch heute befindet. Auf dem Rücktransport hat die Mumie gelitten, ihre linke Gesichtshälfte und die Stirn waren weggebrochen, das Gehirn aber noch vorhanden. Ihr Gesamtzustand wird als gut beschrieben. 

Laut Derry hat die Mumie glattes, schwarzes Haar [1] ihre Gesichtszüge wirken für ihn "nubisch" [2] Einen Rückschluss, den er wohl auch auf Grund ihrer Schädelform trifft. Er beschreibt ihn als "südliche Form". Unter Hinweis auf die bereits geschlossenen Epiphysenfugen schätzt er ihr Alter auf ca. 23 - 24 Jahre. 
Lediglich die Verbindung vom Brustbein zum Schlüsselbein war wohl noch nicht komplett geschlossen. Was auf das Längenwachstum aber keine Auswirkungen mehr hatte.

Naville, I. pl. X
 

Eine Untersuchung der Mumie wurde 1935 von D. E. Derry in einem Artikel [3] publiziert. In der Folgezeit brachte diese Untersuchung Henhenet den zweifelhaften Ruhm ein, die älteste Frau mit diagnostizierter vesikovaginaler Fistel [4] zu sein. Mit dieser Diagnose taucht sie in zahlreichen medizinischen Artikeln [5] auf. Die ägyptologische Literatur schweigt dazu. Hier findet sich lediglich bei Dodson [6] der Hinweis - sie sei im Kindbett verstorben. Eine Aussage, die bereits 1929 von Williams [7] auf Grund einer persönlichen Mitteilung von Derry publiziert wurde. Noch 1980 wird dies bei Cockburn [8] ohne nähere Angaben zitiert.
In seinem Artikel beschreibt Derry [9] die Größe und den Zustand der Becken von fünf, im Totentempel Mentuhotep Nebhepetres gefundenen, weiblichen Mumien. Neben der Mumie der Henhenet wurde die Mumie von Aaschyt untersucht, desweiteren drei Mumien von Frauen die im nördlichen Dreieckshof bestattet waren [10]. Nach den Messungen von Derry haben diese Frauen deutlich engere Becken als, auf Grund seiner Vergleichsdaten, Engländerinnen des frühen 20. Jh. n. Chr. Die Bauchdecken der Mumien sind unzerstört, ihre Vaginen erweitert.
Henhenet hatte einige anatomische Anomalien. Sie hatte von den untersuchten Frauen das engste Becken. Es handelt sich um ein sogenanntes Längsbecken [11], bei dem die Breite schmäler ist als die Tiefe. Ihr 12. Brustwirbel war nur rudimentär ausgebildet [12]. Sie besaß lediglich 4 statt 5 Lendenwirbel [13] und hatte eine extrem große Blase.
Für den Beckenbereich wird beschrieben, dass der Anus ca. 10 cm aus dem Körper heraushing (= Analprolaps). Ihre Vulva ist erweitert. Zwischen Blase und Vagina befindet sich ein Riss, die oben bereits angesprochene vesikovaginale Fistel (Bild unten rechts, Nr. 3).

Rückenansicht; Zacharin fig. 3
 

Ansicht von vorne in den Beckenbereich; Zacharin fig. 2a
 

Das linke Bild zeigt unter Nr. 1 einen deutlich erweiterten Anus. Bei Nr. 2 ist ein Dammriss zu sehen, die Vagina Nr. 3 ist sehr weit, so dass der Damm nur noch als schmaler Steg erhalten ist.
Dammriss und vesikovaginale Fisteln kennt man als Komplikationen bei Geburten. Das enge Becken von Henhenet impliziert den Gedanken an eine schwere Geburt in deren Folge beide Verletzungen entstanden sein könnten. Daraus zog man dann den Schluss, sie sei im Kindbett verstorben. 
Nach Aussage einer Gynäkologin [14] hätte das Kind, wenn der Zustand dieser Vagina die Folge einer Entbindung wäre, den Geburtsvorgang mit großer Wahrscheinlichkeit nicht überlebt. Die zu erwartende, mitbestattete Mumie eines Säuglings wurde von den Ausgräbern nicht gefunden. Eventuell könnte diese aber während der Beraubung des Grabes verschwunden sein.
Bei der Beurteilung dieser Verletzungen sollte man weitere Faktoren berücksichtigen. Wie bereits erwähnt, wiesen andere untersuchte Frauenmumien ebenfalls erweiterte Vaginen auf. Jedoch hatte keine der Mumien, die bei einer Balsamierung üblichen Bauchschnitte. Hier wurden bei der Einbalsamierung demnach andere Methoden angewandt.
Derry [15] berichtet davon, dass man am Beginn des Mittleren Reiches mit verschiedenen Methoden zur Einbalsamierung experimentierte. Germer [16] beschreibt eine Technik, die von Herodot überliefert wurde und die ihrer Ansicht nach bei den von Derry untersuchten Mumien angewandt wurde. Bei dieser Technik wurden dem Körper nach dem Tode Substanzen eingespritzt, die die inneren Organe auflösen sollten. Da die untersuchten Mumien eine intakte Bauchdecke, jedoch Verletzungen im Vaginal- und Analbereich aufzeigen bietet es sich an, in ihnen Mumien zu sehen, die auf diese Art behandelt wurden [17]. 
Sofern bei einer Mumienuntersuchung nicht eindeutig zu ersehen ist, dass Henhenet die Verletzungen am Damm und die vesikovaginale Fistel bereits zu Lebzeiten hatte, kann man sie auch als postmortale Verletzungen beim Einbalsamieren erklären.
Die Erweiterung und Schädigung des Anus bei Henhenet ist mit den Folgen einer Geburt nicht zu erklären, aber durchaus als Folge einer Balsamierung die auf diesem Wege Substanzen in den Körper einbringt. Das Fehlen einer Säuglingsbestattung wäre dann ebenfalls verständlich.
Meines Erachtens nach starb Henhenet nicht im Kindbett, die angeführten Verletzungen stammen von der Mumifizierung.

1  Derry, ASAE 41/1942

2  Winlock, Excavations, S. 130

3  Derry, Pelves

4  dies ist eine offene Verbindung von der Blase zur Vagina, die meist unter traumatischen Umständen (zum Beispiel einer komplizierten Geburt) entsteht.

5  u.a. Zacharin

6  Dodson, Families

7  Williams, Paleopathology

8  Cockburn, Mummies, p. 42

9  Derry, Pelves

10  Grab Naville 23, 26 und 29

11  bezeichnet als "dolichopelvisch" = longitudinal-ovales Becken

12 die Frauenmumie aus Grab Naville 26 besaß ebenfalls einen 12., nur rudimentär ausgebildeten Brustwirbel. Diese Anomalie der Brustwirbelsäule ist ohne funktionale Bedeutung

13  Beim Fehlen des 5. Lendenwirbels handelt es sich wohl um eine Assimilation (eine Formangleichung eines Skelettelementes an ein benachbartes. Eventuell eine Verschmelzung). Der 5. Lendenwirbel wäre dann wahrscheinlich mit dem Kreuzbein assimiliert, wodurch das lange Becken entstand. 

14  Mein Dank gilt Frau Dr. med. Ilse Hilbert (Marburg) für ihre unendliche Geduld dieses Thema mit mir durchzusprechen und medizinische Fachbegriffe und Vorgänge zu erklären. --  Sie hält für das Fehlen des Säulingsleichnams folgendes Szenario für möglich: eine zerstückelnde Operation auf Grund des Missverhältnisses von Becken und Kindsgröße.

15  Derry, Mummification, p. 247

16  Germer, Mumien, S. 46

17  bei der im Grab Naville 26 gefundenen Frauenmumie fanden sich im  Anus Teile der Eingeweide. Anus und Vagina dieser Mumie waren erweitert. Dies weist auf eine postmortale innere Zerstörung des Leichnams hin.

 

 

Grab und Schrein

Familie

Gräber

 

zurück

 

         mentuhotep.de                                                                                                                                     ©  E. Noppes